Österreich gilt als Vorbild in Sachen Gewaltschutz. Paradoxerweise ist es trotzdem das EU-Land mit den meisten weiblichen Mordopfern.
Frauenministerin Susanne Raab betont, Österreich habe ein gut ausgebautes Netz an Hilfseinrichtungen in allen Bezirken mit mehr als 170 Frauen- und Mädchenberatungsstellen und neuen Gewaltschutzzentren, die betroffenen Frauen und ihren Kindern Hilfe und Schutz bieten. Das Frauenbudget konnte sie von einem stagnierenden Budget von zehn Millionen Euro auf 14,65 Millionen für das Jahr 2021 erhöhen.
Außerdem wurde Mitte April beschlossen, dass bei der Ausbildung von RichterInnen und StaatsanwältInnen ein Schwerpunkt auf Gewalt gegen Frauen gelegt werden soll.
Doch können die neuen Maßnahmen wirklich die Zahl der Frauenmorde signifikant senken?
Warum sind gerade Frauen so sehr von Gewalt betroffen? Was sind die Gründe für die steigende Zahl an Mordfällen?
Welche Maßnahmen können getroffen werden, damit wir Frauenmorde in Zukunft vermeiden können?
Dr Ishraga Mustafa, Autorin, Politikerin und Feministin:
Frauenmord ist eine weltweit erschreckende Tatsache, so wie deren Vorgeschichte, wobei die Opfer von seelischer und physischer Gewalt gequält werden. Rache, welche die betroffenen Frauen ihr Leben kostet, könnte einer der Gründe sein, warum Frauenmord ein großes Thema geworden ist. Gewaltschutzeinrichtungen spielen eine enorme Rolle dabei, die Femizide zu verhindern, und die Betroffenen aus ihren eigenen vier Wänden zu befreien.
Die Frauenmorde in Österreich sollten in einem globalen Kontext analysiert werden, eine weltweite Lobbyarbeit ist nötig. Der Femizid kennt keine Grenzen. So wurden am gleichen Tag, an dem zuletzt ein Frauenmord in Wien passierte, im Sudan drei junge Frauen von ihren engen Verwandten (Brüder bzw. Väter) ermordet. Es ist aber wichtig zu sehen, wie Frauenrechtsaktivistinnen Widerstand leisten. Wir müssen global denken und lokal handeln, um Frauen vor Gewalt und Mord zu schützen.
Das setzt eine starke politische Öffentlichkeitsarbeit und Bewusstseinsbildung voraus. Bei Migrantinnen, die nicht wissen, an wen sie sich wenden können, ist es besonders wichtig, sie aus ihren eigenen vier Wänden zu befreien und ihnen Hilfe und Unterstützung anzubieten, bevor zu spät ist.
Suha Dejmek, Politikerin:
Kalte Rache scheint das vorrangigste Motiv für die kaltblütigen Morde an Frauen in den letzten Monaten zu sein. Ehemänner oder Lebenspartner, die nicht mit der Trennung oder Scheidung ihrer Ehefrau oder (Ex)-Partnerin zurechtkommen, rächen sich dafür und wollen für ihr gekränktes Ego auf diese Weise offensichtlich Genugtuung erwirken.
Meist sind die Taten – so die Experten – bereits von langer Hand geplant. Es handelt sich hier in der Regel nicht um Affekttaten nach einem häuslichen Streit oder Konflikt, sondern um eine organisierte Tat. Dies ist ein absolutes Novum. Verlassene (Ex)-Partner schlagen zu und wollen Gerechtigkeit. Es handelt sich dabei meistens um narzisstische Persönlichkeiten, die eine solche Tat nach vorheriger Planung gezielt ausüben. Der Frauenanteil unter den Mordopfern ist mittlerweile extrem hoch. Hier muss unbedingt etwas unternommen werden.
„Definitiv muss im Bereich der Präventions- und Schutzarbeit einiges nachgeholt bzw. rasch umgesetzt werden. EU-weit haben wir mit unseren Frauenmorden in Österreich ein Alleinstellungsmerkmal. Die Anzahl der Femizide hat sich zwischen 2014 und 2018 mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr waren 31 Frauen unter insgesamt 43 Mordopfern. Anstatt wegzuschauen, müssen Menschen in Zukunft besser hinschauen und für diese Thematik durch Kampagnen sensibilisiert werden. Zusätzlich muss in die Täterarbeit investiert werden. Sechs Stunden Therapie für amtsbekannte und potentielle Gefährder sind einfach zu wenig. Zum Beispiel hat es bei dem Mordopfer Nadine W., die durch ihren Ex-Partner in der Trafik mit Benzin übergossen wurde, schon eine klare Vorgeschichte gegeben. Hier müssen rechtzeitig die Alarmglocken läuten, bevor es zu spät ist. Der Schutz von gefährdeten Frauen muss oberste Priorität erhalten. Und nicht nur Frauen, auch Kinder müssen vor Gewalt geschützt werden. Immer wieder kommt es vor, dass Kinder in solche Frauenmorde direkt oder indirekt involviert werden. „
Anne Simon aus Wien:
Ich denke, dass Frauen so an Stärke gewonnen haben, wirtschaftlich und in ihrem Selbstbewusstsein, dass mittlerweile eher sie Beziehungen beenden, und mit Trennungen auch besser zurechtkommen. Männer haben ihre traditionellen Rollen verloren, vereinsamen leichter, Frauen stützen einander mehr, reden miteinander über ihre Probleme.
Männer suchen weniger Hilfe, kommunizieren weniger über ihre Probleme, schauen weniger auf ihre Gesundheit. Wenn sie aus Kulturen kommen, in denen die Frau sich unterordnen muss, und ihre Frau dann hier die Möglichkeit der Emanzipation nutzt, kann es besonders gefährlich werden. Oder unter Einwirkung von viel Alkohol, wie im letzten Fall.
Vielleicht neigen verzweifelte Frauen auch eher dazu, Aggressionen nach innen statt nach außen zu richten, depressiv zu werden, nicht gewalttätig.
Karin Gerbrich, selbstständige Unternehmensberaterin, Trainern:
Es muss überlegt werden, welche Maßnahmen getroffen werden können, um Aggression und Gewaltbereitschaft allgemein zu senken, damit sinkt die Anzahl an Frauenmorden automatisch auch!
Eine große Rolle dabei spielen die Medien, sowohl Unterhaltung als auch Berichterstattung. Im Unterhaltungsbereich, also zum Beispiel in den Fernsehprogrammen, sowohl in amerikanischen als auch europäischen Krimiserien, wird Gewalt verherrlicht und als normal dargestellt.
In der Berichterstattung über alle möglichen Themen, insbesondere über Politik, aktuell über Gesundheit (Corona) wird gespalten und gegeneinander aufgehetzt. Journalisten und Journalistinnen, Redakteure und Redakteurinnen machen keine neutrale Berichterstattung mehr, sondern sind mit Polemik und Überspitzung, mit persönlichen Untergriffen und Unterstellungen auf der Jagd nach mehr Klicks, nach höherer Auflage. Das spaltet und trennt, das führt zu Aggression, diese Aggression entlädt sich dann in hilfloser Gewalt.
Eine weitere große Rolle spielt das Elternhaus, die Erziehung. Es wird heutzutage und schon seit einigen Jahrzehnten jegliche Autorität bereits vom Elternhaus untergraben. Wenn ich als Kind nach Hause kam und erzählte, dass die Frau Lehrerin mit mir geschimpft hat, wurde ich von meinen Eltern ebenfalls geschimpft und bestraft. Wenn heutzutage ein Kind nach Hause kommt und solches erzählt, oder auch nur eine schlechtere Note bekommen hat, schimpfen die Eltern sofort auf die Lehrer und Lehrerinnen und bedrohen diese mit Anzeige und Gericht. Das lehrt die Kinder, dass nicht Leistung und Können entscheidet, sondern dass Drohungen hilfreich sind. Vom „nur“ Bedrohen zur Ausübung von Gewalt ist es dann nur ein kleiner Schritt.
Alle Menschen sind von Gewalt und Mord betroffen!
Nicht nur, sondern auch Frauen!
In Österreich gab es 2018 60 Mordopfer, 2019 gab es 65 Mordopfer.
In Österreich gab es 2018 936 angezeigte Vergewaltigungen, 2020 gab es 948.
Im langjährigen Vergleich aber sind Gewaltverbrechen gegen Leib und Leben seit 1990 bis 2019 von mehr als 30.000 auf knapp über 5.000 zurückgegangen!
Aktuell, jetzt 2021 sind in Österreich mehr Frauen als Männer Mordopfer.
Jedes einzelne Gewaltopfer, egal ob Mann oder Frau, ist eines zu viel.
Super Beitrag ❤️☺️😘